In des Herzens heilig stille Räume,
Eingeritzt von Annette Droste-Hülshoff in das Fensterglas im großen Esszimmer auf Burg Hülshoff — letzte Strophe des Gedichtes von Friedrich Schiller „Antritt des neuen Jahrhunderts“
Mußt du fliehen aus des Lebens Drang
Freiheit wohnet nur in dem Reich der Träume
Und das Schönste blüht nur im Gesang.
Edler Freund! Wo öffnet sich dem Frieden,
Wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort?
Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden,
Und das neue öffnet sich mit Mord.
[…]
Und das Band der Länder ist gehoben,
Und die alten Formen stürzen ein;
Nicht das Weltmeer hemmt des Krieges Toben,
Nicht der Nilgott und der alte Rhein.
Zwo gewaltige Nationen ringen
Um der Welt alleinigen Besitz;
Aller Länder Freiheit zu verschlingen,
Schwingen sie den Dreizack und den Blitz.
Gold muß ihnen jede Landschaft wägen,
Und, wie Brennus in der rohen Zeit,
Legt der Franke seinen ehrnen Degen
In die Waage der Gerechtigkeit.
Seine Handelsflotten streckt der Brite
Gierig wie Polypenarme aus,
Und das Reich der freien Amphitrite
Will er schließen, wie sein eignes Haus.
In des Südpols nie erblickten Sternen
Dringt sein rastlos ungehemmter Lauf;
Alle Inseln spürt er, alle fernen
Küsten – nur das Paradies nicht auf.
Ach, umsonst auf allen Länderkarten
Spähst du nach dem seligen Gebiet,
Wo der Freiheit ewig grüner Garten,
Wo der Menschheit schöne Jugend blüht.
Endlos liegt die Welt vor deinen Blicken,
Und die Schifffahrt selbst ermißt sie kaum;
Doch auf ihrem unermeßnen Rücken
Ist für zehen Glückliche nicht Raum.
In des Herzens heilig stille Räume
Mußt du fliehen aus des Lebens Drang!
Freiheit ist nur in dem Reich der Träume,
Und das Schöne blüht nur im Gesang.
* Die Wende vom 18. auf das 19. Jahrhundert ist gezeichnet von den Napoleonischen Kriegen und den beginnenden Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten Frankreich und dem Britischen Reich.
Über das Gedicht im «Schiller Lexikon» von 1869
Als das Jahr 1800 zu Ende ging, fasste Schiller zusammen mit Goethe und (…) Leo v. Seckendorf (…) den Plan, den Anfang des neuen Jahrhunderts mit einer Reihe von Festlichkeiten zu begrüßen, um ihr liebes Weimar ein wenig in Bewegung zu bringen.
Indessen ließ es der Ernst der damaligen politischen Verhältnisse, so wie die innere Zerrissenheit der Gemüter zu keiner freudigen Stimmung kommen. So gehört denn dieses Gedicht nicht dem Anfange des Jahres 1801 an, sondern es ist (…) erst um die Mitte des Juni entstanden, und die leicht falsch zu deutende Überschrift erst später hinzugefügt worden.
Es enthält eine Schilderung der damaligen bewegten Zeit, erinnert an die Kämpfe, die im Jahre 1800 in Italien und Deutschland stattfanden, und an den nach dem Frieden von Lüneville noch fortbestehenden Krieg zwischen England und Frankreich.
- Strophe 1, Vers 4 erinnert an die Ermordung des russischen Kaisers Paul I. am 23. März 1801.
- Strophe 2 an den Zusammensturz vieler Staatengebäude, auf deren Trümmern neue Republiken errichtet wurden; ferner an das Abtreten des linken Rheinufers an Frankreich, so wie an den Kampf der Engländer gegen die Franzosen um Ägypten, welches im Jahre 1802 dem Sultan zurückgegeben wurde.
- Strophe 4 weist auf den Gallierkönig Brennus hin, der den römischen Gesandten die Antwort gab: „Wir tragen das Recht auf der Spitze des Schwertes, und tapferen Männern gehört Alles“.
Als derselbe im Jahr 389 v. Chr. Rom zerstörte und nur das Capitol sich noch hielt, verpflichteten sich die Gallier, gegen 1000 Pfund Gold wieder abzuziehen. Die Forderung ward bewilligt, indes wog Brennus dasselbe auf falscher Waage nach, und als die Römer sich beschwerten, warf er trotzig sein Schwert zu den Gewichten mit dem Ausruf: „Wehe den Besiegten!“ Indessen war Camillus zum Diktator ernannt worden und erschien zu rechter Zeit mit seinem Heer, um den Vergleich für nichtig zu erklären. Es kam zum Kampf, und keiner der Gallier erreichte sein Vaterland wieder.
Der „Franke“ wird er genannt, weil man die alten Gallier, die früheren Bewohner Frankreichs, gleich den Franken, auch als Vorfahren der Franzosen anzusehen pflegt. - Strophe 5 Das Paradies, das von dem Briten unentdeckt bleibt, ist bis zur Schlussstrophe geschildert.
Quellen
Schiller-Lexikon. Nicolaische Verlgasbuchhandlung (A. Effert und L. Lindtner), Berlin. 1869. Seite 23-25